Griechenlands erster IVV-Weitwanderweg zeigt die Schönheiten der Insel im Saronischen Golf
Es ist ein Samstag Anfang Mai 2008, als ich Thomas Papadakis in seinem schmucken Strandhotel zwischen der Inselhauptstadt Ägina und dem Fischerdorf Perdika im Süden der Insel aufsuche. Ich war gerade am Freitagabend zuvor nach 1 _ stündiger Überfahrt mit der Fähre aus Piräus im Hafen Äginas angelandet, und hatte den Eindruck, dass es dort nur so von Menschen wimmelte. Umso mehr erstaunte es mich nun, dass das Moondy Bay Hotel noch geschlossen ist. Der erste Eindruck aber hat getrogen: Ägina ist heute nur noch im Juli-August und allenfalls noch Ende Juni und Anfang September “Touristen-Insel“ und seine Bewohner tun sich verdammt schwer damit, doch davon an späterer Stelle mehr.
Thomas Papadakis ist Präsident des Olympia Marathon Club Athen im griechischen Volkssportverband und hat zusammen mit seiner Lebensgefährtin Ingeborg Nitykowski seit dem Jahre 2003 den 92 Kilometer langen ersten IVV-Weitwanderweg Griechenlands kreiert, was mir Gelegenheit geben soll, die Schönheiten der Insel zu Fuß zu erleben und so Landschaft, Kultur und Menschen unmittelbar kennenzulernen. Der internationale Volkssportverband bietet übrigens seit knapp 40 Jahren in mittlerweile etwa 60 Ländern unseres Planeten Wander-Events an: Volkswanderungen für solche Menschen, die es gesellig mögen, permanente und Weitwanderwege für Individualisten, die gerne fremde Umgebungen auf eigene Faust erkunden wollen. Zur “Belohnung“ gibt es nach absolvierter Strecke Medaillen, T-Shirts und andere Auszeichnungen und die Teilnahmen und aufgelaufenen Kilometer werden mit in allen Ländern gleichen Stempeln im Wanderbuch bestätigt. Neben Gesundheit und Lebensfreude, die das Erkunden der Natur zu Fuß schon im Allgemeinen mit sich bringt, ist das “IVV-Wandern“ noch insofern herauszuheben, dass es den Wanderer häufig an Orte dieser Erde führt, die vom Tourismus völlig vergessen scheinen und dennoch oft auffallend schön sind. Dennoch kann man sich nicht oder kaum verlaufen, weil die Organisation in der Regel ausgezeichnet ist und die Wege bestens gekennzeichnet und markiert sind.
Die meisten Griechen halten indes Wandern und alle Leute, die mehr als unbedingt nötig zu Fuß gehen, auch heute noch für “trellos“, was schlicht und einfach so viel wie verrückt heißt. Gerade deshalb bin ich besonders neugierig und nehme mir gleich am ersten Sonntag das mit 22 km längste Teilstück, den Weg “Oros Elanos Zeus“ vor. Er führt vom Bilderbuchhafen Agia Marina über Lazarides bis fast auf die Spitze des Berges Oros, mit 532 Metern höchste Erhebung Äginas. Durch wilde Berghalden und auf Ziegenpfaden geht es dann weiter über Sfendouri, das Fischerdorf Perdika bis schließlich zur Bushaltestelle vor der Moondy Bay, von wo aus eine Rückfahrt in alle Teile der Insel möglich ist. Trellos hin - trellos her, nach vier km leichtem Aufstieg auf kaum befahrener Küstenstraße zeigt sich eine famose Aussicht über weite Teile des Saronischen Golfs. Dann geht es weiter über Lehmwege durch herrliche Pinienwälder in Richtung des verlassenen Dorfes Gianakides zur Wildtierstation, wo in jedem Jahr mehr als 4.500 wilde Tiere und Vögel - gleich ob verwundet, krank, schwach oder verwaist - betreut und gesund gepflegt werden, bis sie wieder dem Leben in freier Natur ausgesetzt werden können. Zwischen Gianakides und Lazarides habe ich mich das erste und einzige Mal auf der gesamten 92 Km langen Strecke so richtig verlaufen, vermutlich, weil Störenfriede die Wegmarkierungen beschädigt oder beseitigt hatten. Richtig schade war auch das nicht, so erreiche ich Lazarides, ein kaum bewohntes Bergdorf, das durch zahllose Sendemasten fürchterlich hässlich entstellt ist, erst zwei Stunden später und es bleibt mir erspart, mich an diesem äußerst ungemütlichen Ort länger aufhalten zu müssen. Die nächsten Kilometer führen dafür in ungestörte Wildnis und Einsamkeit, immer auf Zwei-Drittel-Höhe um den Berg Oros herum. Über abenteuerliche Ziegenpfade geht es dann plötzlich bergab. Auch hier könnte die Wegmarkierung besser sein, doch immer den Blick auf die im Wanderführer beschriebene kleine Kapelle auf der gegenüberliegenden Anhöhe fixiert und mit Hilfe eines Schäfers und seiner Hunde erreiche ich bald Sfendouri, danach den romantischen Hafen Perdika und schließlich wieder die Moondy Bay.
Zeit, erst einmal Pause zu machen und mich nach achtstündiger Tageswanderung meinem Hunger und daraus resultierenden “leiblichen Genüssen“ zu widmen. Mein Domizil ist Agia Marina und dort ein kleines, noch typisch griechisches Hotel. Bei Angelica und Thomas Chaldeos und ihrem 82-jährigen Vater Nikolaos bin ich hervorragend untergebracht. Das Hotel liegt ruhig in einem kleinen Pinienhain und doch nur 200 Meter vom Hafen und der Hauptstraße des Städtchens entfernt. Zehn Zimmer es, die Doppelzimmer werden zum gleichen Preis auch an Singles vergeben. Hier ist noch die alte griechische Gastfreundschaft Trumpf, die sich liebevoll in vielen Kleinigkeiten äußert. So ist Angelica beinahe untröstlich, wenn einmal eines ihrer Frückstückseier von “lucky chicken - glücklichen freilaufenden Hühnern“ - auch nur eine winzige Spur zu hart oder zu weich gekocht wurde.
Da ich in Deutschland vornehmlich über Essen und Trinken schreibe, habe ich besonders die Tavernen unter die Lupe genommen. Das Ergebnis für Agia Marina: Die meisten, wie Kyriakos, Neromylos oder Faros haben eine einfache, gute bis ausgezeichnete Küche, dazu preisgünstig, freundlich und kreativ. Manche, wie das La Mirage sind aber auch schlecht und die meisten der zahllosen Cafés fordern völlig überhöhte Preise. Den Vogel in negativer Hinsicht hat das Remezzo abgeschossen, auf dessen Karte ein einfacher Ouzo für sage und schreibe 6 € angeboten wird. Da kommen wir dann auch zu einem allgemeinen Problem Agia Marinas, Äginas und vieler anderer Orte Griechenlands überhaupt. Die Preise, nicht nur für die Touristen, auch für die Griechen selbst, sind seit der Einführung des (T)Euro so irrsinnig gestiegen, dass immer weniger Fremde es sich leisten können, in Griechenland Urlaub zu machen. An 6 von 14 Abenden meines Ägina-Aufenthalts im touristischen Wonnemonat Mai war ich einziger Essensgast in den traumhaft schönen Tavernen mit mehr als 300 Sitzplätzen direkt am Meer. Traurig und frustrierend - und doch wird diese Entwicklung, wie in Deutschland übrigens auch, wohl erst dann wieder rückläufig werden, wenn die Vernunft über die mitunter masslose menschliche Gier obsiegt.
Hier wäre das Wort “trellos“ sicher viel eher zu gebrauchen als beim Wandern, und damit zurück zu unseren Wegen. Ich will sie nicht alle beschreiben, dafür haben Ingeborg Nitykowski und Thomas Papadakis einen viel zu guten Wanderführer herausgegeben, auf dem die Wege und Sehenswürdigkeiten ebenso hinreichend beschrieben sind, wie über die historischen Außergewöhnlichkeiten der Insel berichtet wird. Nur soviel, die insgesamt sechs Wanderstrecken berühren eigentlich alle Orte der Insel: Marathonas, Lazarides, Alones, Souvala, Agia Marina, Perdika, Kolona, Sfedouri und natürlich die Inselhauptstadt Ägina selbst. Durch unberührte Natur einerseits und über (manchmal doch zu viele) kleine geteerte Straßen (direkte “Wanderwege“ gibt es in Griechenland so gut wie nicht) führen die Wanderrouten zu fast allen Sehenswürdigkeiten, gleich ob Aphaia-Tempel, Wildtierestation, Palea Chora oder eines der vielen Klöster wie Agios Nektarios, Chrysoleontissa oder Agios Minas. Vergessen will ich auch nicht die großen, grünen Pinienwälder, die Schluchten und Hohlwege, die uralten Olivenbäume oder die weitläufigen Pistazienplantagen, Wahrzeichen für die Hauptfrucht der grünen Insel.
Werde ich wiederkommen? Wegen Äginas einmaliger Landschaft und ihrer vielen freundlichen Menschen gerne. Wegen des blauen Meeres und dem strahlenden griechisch-typischen Licht sicherlich auch. Genauso wenig werde ich aber in Zukunft 6 € für ein Glas Ouzo, 4 € für einen Frappée im Warenwert von 10 Cent oder 10 € für einen Horiatiki (griechischer Salat) bezahlen wollen. Sehr viele Griechen, mit denen ich gesprochen habe, sind inzwischen einsichtig geworden, einige Verrückte üben sich aber nach wie vor in Preistreiberei. Das muss aufhören, sonst droht es Ägina, wie den meisten anderen griechischen Inseln auch, zu (zumindest vom Tourismus) verlassenen Eilanden zu werden.