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Ernst Jünger: Drei Mal Rhodos - Die Reisen 1938, 1964 und 1981

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2017-04-26 2017-04-26 26.04.2017

„Epidaurus – die Akustik ist außerordentlich.“ Dies ist eine Wahrnehmung (aus dem Jahr 1964), so zutreffend wie simpel, mit der Ernst Jünger sich einmal nicht über die rings um ihn her fotografierende Allgemeinheit überhebt. Ganz anderen Valeurs verdankt sich ein solcher Satz (aus dem Jahr 1938): „Der Anblick der Reisenden en masse erregt ein gewisses Ekelgefühl der Zivilisation, besonders wenn das stumpfsinnige Fotografieren beginnt.“ Im Vergleich zu dieser harschen Äußerung liest sich das Notat (wieder aus dem Jahre 1964) dann doch nachsichtiger. Berichtet wird über einen älteren Herrn, der vorm Parthenon allzu beflissen den verabreichten Erklärungen folgen und gleichzeitig sich fotografisch betätigen will, dabei von einer hohen Stufe stürzt und sich eine Platzwunde an der Augenbraue zuzieht, was die Besorgnis auslöst: “Hoffentlich war dieser sichtbare Schaden der einzige.“ Sobald aus der als störend empfundenen Masse der einzelne heraustritt, gereicht Reisebekanntschaft sehr wohl auch zum Reisegewinn. Nun reiste Ernst Jünger allerdings nicht, um Bekanntschaften anzuknüpfen. Mit ihm unterwegs waren zuerst sein Bruder, danach seine Frau Liselotte und letztens der befreundete Verleger Ernst Klett. Und man verließ nicht jeweils im Frühjahr für drei bis vier Wochen daheim den Garten, um - unter jeweils geänderten Vorzeichen – andernorts Stumpfsinn zu begegnen. Zudem ist die entomologische Passion, der man auf Rhodos nachging, ohnehin nur einem Kundigen zu vermitteln, wie das unübertrefflich Ephraim Kishon mit seiner Persiflage auf die Schmetterlingsbegeisterten vom Rodino-Tal kund tut. Dem Flanieren am 1. Mai 1938 durch ebendiesen Rodino-Park zwischen rosa blühenden Myrthen dem Bach entlang folgt am 3. Mai der Marsch durch die düstere, finstere Malpasso-Schlucht. „Hier der Schauplatz der Schillerschen Ballade“, wird da kurz und knapp festgehalten, unverfänglich nur dem, dem die Verse nicht geläufig sind: Ich hab‘ erfüllt die Ritterpflicht. / Der Drache, der das Land verödet, / Er liegt von meiner Hand getötet; / Frei ist dem Wanderer der Weg. Der Eintrag für diesen Tag endet unzweideutig: „Malpasso ist sprachlich sehr gut für einen üblen Ort; die bösartige Wirkung wird durch die Konsonanten hervorgebracht“ (das heißt ja wohl, durch zwei Konsonanten: SS). An der entsprechenden Stelle der 1943 in Hamburg publizierten „Wanderungen auf Rhodos“ von Friedrich Georg Jünger unterbleibt bezeichnenderweise dieser Verweis auf Friedrich Schiller. Doch als wäre das für damals eine Selbstverständlichkeit wird, was aus der Stadt der Johanniter nicht wegzudenken ist, von beiden Brüdern sowohl auf die Synagogen im Judenviertel als auch die aus der Türkenzeit stammenden Moscheen eingegangen. Im Jahr 1981 bleibt beim neuerlichen Durchstreifen der Altstadtgassen unerwähnt, dass die Hauptsynagoge inmitten der Häuserzeile unversehrt erhalten und der zentrale Platz mit dem Seepferdchenbrunnen darauf, ein Postkartenmotiv, den Märtyrern gewidmet ist. Insgesamt 1.673 jüdische Bewohner waren am 16. August 1944 von Rhodos nach Auschwitz-Birkenau deportiert worden. Jüngers Beschweigen resultiert nicht aus Geschichtsvergessenheit. Der nunmehr 86jährige berichtet vom zufälligen Zusammentreffen mit einem Stuttgarter, der so alt gewesen sein mochte wie er bei seinem ersten Rhodosaufenthalt. Die heraufdrängenden Erinnerungen lassen bei ihm Wehmut aufkommen darüber, dass das Leben sich in eine monotone Fahrt verwandelt habe. Vorgeblich monoton, möchte man meinen. Bei dieser Reise wird Tag für Tag ein Gesang der Ilias laut vorgelesen. Lektüre auch nach dem Besuch des Fileremos, jener Bergfestung, die allzeit umkämpft war, namentlich auch zu Ende des Zweiten Weltkriegs zwischen Italienern und Deutschen, den vormals Verbündeten. Als tröstlich ist vermerkt, dass wenigstens in einem der vierundzwanzig Gesänge der Ilias ausnahmsweise kein Blut fließt. Im Epos spiegele sich zeitloses Geschehen. Dem Altersweisen gilt Odysseus als Homers Goebbels, den er hier, an eigentlich doch entrücktem Ort, mit dessen Maxime zitiert: „Man muß die Mäuse aus ihren Löchern hervorlocken, sie ihr Wesen treiben lassen, dann zuschlagen.“ - Zu eigenem Behagen diesen drei Rhodos-Reisen nachzuspüren, das dürfte den geringeren Ertrag erbringen. Mehrgewinn verspricht, sich aus den Andeutungen der Jüngerschen Notate die Bedeutungen zu erschließen. Was Letzteres betrifft, wären von den Herausgebern großzügiger Lesehilfen angebracht gewesen. Beizupflichten ist ihnen, dass es an der Zeit sei, den Reiseschriftsteller Ernst Jünger zu entdecken. Es wäre zu wünschen, dass die typografisch mit erwähltem Geschmack gestaltete Broschüre nicht nur einem kleinen Kreis von Insidern vorbehalten bliebe.

Ernst Jünger, Drei Mal Rhodos.
Die Reisen 1938, 1964 und 1981.
Herausgegeben von Lutz Hagestedt und Luise Michaelsen.
Aus dem Archiv Heft 2.
Deutsche Schillergesellschaft Marbach am Neckar 2010,
198 S.,

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