Obwohl Griechenland nun so ins Gerede gekommen ist, darf die Faszination, die vom Land und seinen Leuten ausgeht, getrost als unkaputtbar gelten. Zu dieser Gewissheit verhilft der jeder Schwärmerei abholde Insiderblick, an dem – nach zahlreichen, seit Jahren regelmäßig vorgelegten erhellenden Einzelstudien – hier Eberhard Rondholz in einer längst von ihm erwarteten Zusammenschau teilhaben lässt. Was läuft da seinem Urteil nach in den deutsch-griechischen Beziehungen eigentlich falsch? Beim Athenbesuch im Januar 2010 mahnte Außenminister Guido Westerwelle (der seinen Dr. jur. an der Uni Bonn beim Staatsrechtler Dimitris Tsatsos gemacht hat) die Einlösung eines griechischen Kaufversprechens aus dem Jahr 2000 an: 60 Kampfflugzeuge vom Typ Eurofighter zum Preis von zwei Milliarden Euro. Außerdem stehen zur Verhandlung: sechs Fregatten vom Typ FREMM im Wert von zwei Milliarden, sechs U-Boote des Typs U214 für rund drei Milliarden und ähnliches mehr. Dazu ER: „Es ist eine absurde Situation: Deutsche und französische Politiker drängen zu Käufen von Waffen, die zwei Nato-Partner (Türkei und Griechenland) aufeinander richten, und das, obwohl sie einerseits über den drohenden Staatsbankrott Griechenlands informiert sind und es andererseits strikte Regelungen gibt, nach denen aus Deutschland Waffen exportiert werden dürfen: eben nicht in politische Spannungsgebiete, wie es die Ägäis de facto allemal eines ist.“ Dass dieser Irrsinn den griechischen Steuerzahler umtreibt, das sollte auch den eigentlich nicht weniger davon betroffenen deutschen Steuerzahler aufbegehren lassen, denn in beiden Fällen bietet die Wirtschaftskraft des eigenen Landes mehr, als für ihn herausspringt.
Nach ERs Angaben verfügen die griechischen Reeder über eine Handelsflotte von 55 Millionen BRT, was 70% der gesamten EU-Handelsschifffahrt und ein Fünftel der globalen Tonnage ausmacht und sich in der griechischen Zahlungsbilanz niederschlägt. Die Fischzucht in Aquakultur ist mittlerweile eine Industrie mit enormen Zuwachsraten, Griechenland ist Selbstversorger, was bestimmte zuchtfähige Fischarten angeht, und zugleich größter Exporteur. Was ER zudem über Spitzenweine und exquisites Olivenöl Marke Hellas wissen lässt, hat gut und gern als Geheimtipp zu gelten. Hingegen sind die aufgezeigten Schattenseiten jene, die man auch von anders woher kennt. Die Rede ist von Leuten, die gegenüber dem Finanzamt ihr Einkommen an der Armutsgrenze beziffern und durch einen Wohlstand auffallen, der sich disproportional zu den bezogenen Gehältern verhält. Die Art und Weise, wie sich Teile der politischen Elite in den letzten Jahrzehnten bereichert haben, rieche nach Mafia und Politkriminalität – so das ernüchternde Resümee. Wie anhand der wenig lustigen aufgeführten Beispiele zu erfahren ist, steht einem ausgeprägt investigativen Journalismus leider leider ein deprimierend lahmer Justizapparat gegenüber.
Angesichts der aus der konfliktreichen Vergangenheit herrührenden tiefen Gräben im Volk überrascht dann doch im Kapitel Griechen gegen Griechen – Exkurs über den Bürgerkrieg der Schlusssatz: „Es gibt eine große Bereitschaft zur Versöhnung.“ Unabgegolten bleibt indessen, womit Deutschland nach wie vor in der Schuld steht, unter anderem mit der „Rückzahlung eines Zwangskredits, den die Besatzungsmacht Deutschland im Zweiten Weltkrieg den Griechen abgepresst hat“ –nach heutigen Berechnungen etwa 20 Milliarden Euro. Dass darüber hinaus die bundesdeutsche Justiz hinsichtlich der Kriegs- und NS-Verbrechen Täterschutz übte, und zwar mit fatalen Spätfolgen, wird von ER hier nicht zum ersten Mal angesprochen - aus ungutem Grund, wie das Folgende veranschaulicht: Für Alfred Eickworth, der auf Karpathos beim Versuch, zur Befreiungsfront überzulaufen, am 29. November 1943 von einem deutschen „Kameraden“ erschossen wurde, war in seinem sächsischen Heimatort Crimmitschau-Gablenz eine Straße benannt und ein Denkmal aufgestellt worden. Beides ist nach der Wende 1989 dort verschwunden, wohingegen das von griechischen Patrioten auf Karpathos für ihn errichtete Grabmal auch weiterhin gepflegt wird.
Wie anderswo in Europa auch ist neuerdings - und bei sich zuspitzender Wirtschafts- und Finanzkrise womöglich dauerhaft - im Athener Parlament eine rechtsradikale Partei vertreten. Sich deren Hetztiraden von einer gegen Griechenland gerichteten Verschwörung des weltweit agierenden jüdischen Finanzkapitals zu bedienen, wie das Mikis Theodorakis – gewissermaßen einem Anti-Herostratos gleich - unternommen hat (um den Volkszorn zum Kochen zu bringen oder weshalb auch immer), quittiert ER rechtens mit Unverständnis. Unerwähnt zu lassen, dass sich Theodorakis nachträglich erklärt und gegen jede Form von Antisemitismus ausgesprochen hat, und ihn als „Musik-Ikone“ (à la Michael Jackson?) in einen Zusammenhang zu bringen mit dem notorischen Holocaust-Leugner Plévris und denen, die ungehindert Hitlers Mein Kampf in griechischer Übersetzung verkaufen, das verschiebt allerdings die Optik dann doch gewaltig.
Das Buch verdiente nicht den Untertitel Ein Länderporträt, wenn es sich auf die - in herkömmlichen Reiseführern zumeist ausgesparten - aktuellen Bezüglichkeiten beschränkte. Eine Fülle von Details zur Landes-, Parteien-, Kirchen-, Sprach-, Literatur-, Architekturgeschichte, zur Asylanten- und Minderheitenproblematik sowie, gleichsam als roter Faden, zu den deutsch-griechischen Befindlichkeiten gewährt einen fundierten, von billigen Vorurteilen freien, dringendst gefragten zeitgemäßen Gesamtüberblick.
Eberhard Rondholz
Griechenland. Ein Länderporträt.
Ch. Links Verlag, Berlin 2011,
200 S.,
ISBN-10: 3861536307
ISBN-13: 978-3861536307