Gott ist gnädig, denn er weiß, dass der Mensch zur Sünde fähig ist. Wer gottgefällig zu leben meint, belügt er sich nicht nur selber? Denn dem zehnfach Gebotenen handelt er nicht nur zwölf-, sondern mehrfach zuwider, und sei es nur in Gedanken. Alexander Adamopoulos überlässt es ganz dem Zufall, in seinen Skizzen, Notaten, Gedankensplittern festzuhalten, was ihm als Lebenswirklichkeit begegnet. Und diese Wirklichkeit zeigt er offen, ohne sich verschämt, empört oder verzweifelt zu geben. Da gerät in seinen Blick, wie einer in einem Pissoir, an dessen Seite ein anderer mit sehr eindeutigen Gesten hinzutritt, völlig unaufgeregt diesen sich selber überlässt. Im anderen Beispiel wird der Ziehvater einer Waise nach deren Erwachsenwerden zu ihrem Gatten. Was der Konvention nach als Schande gilt, konfrontiert Adamopoulos mit dem Wohlanständigen. Da wird er sarkastisch. Den Kellner auf einem Luxusdampfer, der sich dem Sog der ihn umgebenden Lebensleere und der Magenprobleme seiner Gäste mit ihren schlaffen, zarten und gepuderten Hintern kaum zu erwehren vermag, zeigt er letztendlich als deren Verächter. Dennoch versteht sich Alexander Adamopoulos in keiner Weise als Moralist. Seine Texte entstanden nach 1974, als sich seine Heimat aus dem Korsett befreit hatte, in das die Militärjunta Griechenland sieben lange Jahre gezwängt hatte. Wie er selber bekundet, ist er, 1953 in Athen geboren, wo er Jura studierte, der 1984 von ihm gegründeten Jani-Christou-Gesellschaft vorstand, das Volksmusikinstrumentenmuseum leitete, voller Optimismus hinsichtlich einer freien, offenen demokratischen Gesellschaft gewesen. Insoweit diese Hoffnung heute mehr denn je zerronnen ist angesichts all der Lügen auf dieser Welt, wird die Entdeckung dieses Autors durch Nina Bungarten nun auch hierzulande zum literarischen Ereignis.
„Die Wahrheit braucht die Lüge. Sie muss sich verstellen, damit man sie bemerkt. In dieser Form zu lügen, zeugt von beharrlichem Optimismus...“
(Fran Schneider, Rhein-Neckar-Zeitung)
Alexander Adamopoulos, Noch mehr Lügen. Kleine griechische Bibliothek, Band 9. Elfenbein Verlag, Berlin 2016, 77 Seiten, 17.- Euro
dto., Zwölf und eine Lüge. Elfenbein Verlag, Berlin 2001, 86 Seiten, 17.- Euro
AUTOR:
Alexander Adamopoulos (geb. 1953 in Athen) studierte Regie, Jura und Soziologie. Er schreibt Erzählungen, Theaterstücke, Libretti und Drehbücher und ist Begründer der Jani-Christou-Gesellschaft in Athen, die sich der Pflege des Werks eines der bedeutendsten Vertreter der Neuen Musik in Griechenland widmet. Adamopoulos erfand das literarische Genre der »Lüge“, eine Kurzprosaform, die Elemente der Legende, der Parabel, der Satire und der Kindergeschichte kombiniert. Sein erster Erzählband «Zwölf und eine Lüge» deutsch: Elfenbein, 2001) erschien auch in englischer, französischer, spanischer und türkischer Übersetzung; aus dem hier angekündigten zweiten Band, «Noch mehr Lügen», erschien 2012 ein Auszug in der Zeitung «Jungle World».