26.11.2011. Im Konzerthaus Wien findet an diesem Abend ein Konzert statt mit drei griechischen Protagonisten: dem Dichter Konstantinos Kavafis, dem Komponisten Alexandros Karozas und dem Meistersänger Jorgos Dalaras. Titel des Abends in der lingua franca unserer Zeit: The Kavafis Projekt – Classical Greek Music, eine vorausschauende Absicht: Der Abend soll wiederholt werden, nicht nur im deutschsprachigen Raum, nicht nur im griechischen, sondern im ganzen europäischen Raum, und, warum nicht, auch jenseits des Großen Teichs! Natürlich: es gab auch andere Griechen, wie den Dirigenten Yiorgos Kountouris aus Zypern oder die junge Dame am Santouri oder den „besten Odysseus“, wie die Süddeutsche Zeitung ihn lobte, in der Rolle des Rezitators, Bruno Ganz. Eine Besetzung also, die ihresgleichen suchen müsste, vor allem wenn man dazu das Wiener Kammerorchester – bestehend aus mindestens hundert Musikern – dazu denkt, oder die Wiener Singakademie, den ersten gemischten Chor Wiens, mit ebenfalls vollen hundert Sängerinnen und Sängern samt ihrem eigenen Dirigenten. Eine Musikbeilage der anderen Art boten außerdem die beiden Solointerpreten, der farbige Tubist und der virtuose Gitarrist, welche die Musik Karozas’ zum Kavafis’ Gedicht: So sehr du vermagst verjazzt auch zu einem Ohrenschmaus werden ließen.
So sehr du vermagst
Auch wenn du dein Leben nicht führen kannst, wie du es willst,
um eins bemühe dich zumindest
so sehr du vermagst: Würdige es nicht herab
in etlicher Gebundenheit an jedermann,
in etlichen Betriebsamkeiten und Gerede.
Würdige es nicht herab, indem du’s
einbringst, ständig umtreibst und es bloßstellst
in Beziehungen und des Verkehrs
alltäglicher Torheit,
bis es dir lästig wird, wie fremd.
Und last but not least, das wunderschöne Konzerthaus, ein traditioneller Raum mit Ambiente, nach seiner im Jahre 2001 abgeschlossenen Renovierung ausgestattet mit erstklassiger moderner technischer Qualität.
Alles in allem eine großartige Vorstellung und ein leuchtendes Panorama der Fähigkeiten aller. Ein akustischer Hochgenuss und eine optische Augenweide, wenn man die zufriedenen, ernst bei der Sache fungierenden Gesichter der Akteure betrachtete, welche aber eine Leichtigkeit ausstrahlten, wie nur höchste Profis können, weil sie ihrer Sache sicher sind und Gefallen finden sowohl an der Musik als auch am Inhalt.
Doch zuerst ist die Dichtung – von Kavafis’ Dichtung hier zu reden ist zumindest überflüssig – dann die Vertonung derselben und dann die Interpretation:
Ganz jung, aber nicht unerfahren und ganz bestimmt talentiert hat Alexandros Karozas angefangen, nicht nur zu lesen, sondern auch sich musikalisch daran zu wagen, die Gedichte des Alexandriners Kavafis zu vertonen. Nur so konnte der Musiker deren Vollkraft entdecken. Wir Älteren haben auch gewagt, irgendwie insgeheim ihn zu belächeln. Zu viele Interpretationsversuche hatten wir über diese Poesie gelesen, zu viele Sackgassen dabei festgestellt. Sollte nun dieser Achtzehnjährige ihn auch noch strapazieren mit irgendwelchen Noten? Der einzige, der alles durch- und vorausschaute, war der Offenbacher Grieche Sakis Porichis, in dessen Garten Alekos mal einen Ball kickte, dann plötzlich verschwand, absolute Ruhe zum Komponieren im Hinterzimmer fand, und dann mal mit einem strahlenden, mal mit einem dunklen Ausdruck im Gesicht wieder zum Kicken herauskam. Mitwirkende damals und allererste Interpretin der entstandenen Vertonungen: Alexandra Grizopoulou, heute Gravas mit ihrem künstlerischen Namen. Eine Überraschung folgte der anderen. Erst in Köln in den Räumen der Griechischen Gemeinde das Debut; dann auf der Bühne der so fortschrittlichen „Comedia Colonia“, ein ausgesprochener Erfolg (Veranstalter die POP, Initiativgruppe für die Griechische Kultur in Deutschland, Vorsitzender damals Hans Eideneier). Aus dieser Zusammenarbeit stammt schließlich auch die CD, welche die neueste zweisprachige Kavafis-Ausgabe des Romiosini Verlags (2009) in der von Alexios Mainas redigierten Übersetzung des Meisters Wolfgang Josing, unter Mitwirkung von Doris Gundert, begleitet. Aus dieser Ausgabe wurden schließlich auch die Gedichte an dem denkwürdigen Abend von Bruno Ganz so großartig rezitiert: gekonnt locker, gefühlsvoll, mit einer erstaunlicher Klarheit, ohne ein Quäntchen Übertreibung, ironisch, wo es gebraucht wurde, ernst, traurig, eben von einem großen Schauspieler, der aber die ganz andere Vorlesekunst ebenfalls beherrscht. Seitenblicke zum Sänger, wenn er dran war, ermutigende, bejahende, aber auch voller Zufriedenheit; diese Duo-Übereinstimmung ebenfalls klar sichtbar. Und Dalaras? Ich hätte nie gedacht, dass der berühmte griechische Star sich so fähig erweisen könnte, sich so zurückzunehmen, kniend vor dem Dichter, voll einverstanden mit der Musik, schlicht und unglaublich bescheiden, das Werk, und nur das im Sinne habend, interpretieren könnte, ohne auch nur ein Pünktchen von seinem Können zu vernachlässigen.
Die Frage, erstens, kann eine großartige Darbietung wie diese die ursprüngliche Musik, welche im Anfang der Schöpfung war und uns mit ihrer Klarheit begeisterte, verschönern oder etwa verdecken und die erste Leistung in den Hintergrund verbannen? Eindeutig nein. Die Interpretation, dieses bestimmte, gelungene Arrangement, hat sie schlicht und einfach unterstrichen, ja sogar hervorgehoben.
Die zweite Frage, die mich, und nicht nur mich stark beschäftigt hat: Was hätte Kavafis selbst zu diesem „Event“ – wir können ruhig diesen Abend so bezeichnen – gesagt, wenn er das hätte erleben dürfen? Hätte er überhaupt zu den inzwischen vielen Vertonungen seiner Gedichte eine Erlaubnis gegeben (abgesehen vielleicht von dem Zeitgenossen, wenn auch viel jüngeren, D. Mitropoulos, der einige seiner Gedichte vertonte und dem Kavafis seine Erlaubnis gab. Allerdings wissen wir weder ob er die Musik je gehört hatte, noch was seine Reaktion darauf war)? Es ist z. B. bekannt, dass sowohl J. Seferis wie M. Anagnostakis große Probleme hatten, als es um die Vertonung ihrer Gedichte durch M. Theodorakis ging. Außerdem waren zu Lebzeiten von Kavafis die Möglichkeiten eines solchen groß angelegten Projekts nicht möglich gewesen. Also bleibt heute dem Veranstalter und seinem Publikum eine gewisse Handlungsfreiheit.
Und diese Freiheit hat meines Erachtens hier niemand missbraucht. Im Gegenteil: Das Konzert war „die schöne Reise“ „gen Ithaka“, das Kavafis selbst verkörpert.