Auf den Webseiten des Projekts „Erinnerungen an die Okkupation in Griechenland“ an der Freien Universität Berlin wird auf die Vorstellung der deutsch-griechischen Bildungsplattform über die Geschichte der deutschen Besatzung Griechenlands hingewiesen [http://www.occupation-memories.org/de/project/events/2020_11_25_praesentation_bildungsplattform/index.html]:
„Am Mittwoch, den 25.11.2020 wurde die deutschsprachige Version der neuen Online-Bildungsplattform (bildung.occupation-memories.org) über die Geschichte der deutschen Okkupation Griechenlands vorgestellt. Sie wurde im Rahmen des Oral History Projekts „Memories of the Occupation in Greece“ (MOG) von einem deutsch-griechischen Expertenteam für den Schulunterricht entwickelt und steht für den nicht kommerziellen Einsatz kostenlos zur Verfügung.
Die Lehreinheiten basieren auf Inhalten aus dem gleichnamigen Online-Zeitzeugenarchiv und sind multimedial und interaktiv aufgebaut. Innerhalb der Bildungsplattform können sich Schülerinnen und Schüler anhand ausgewählter Schwerpunktthemen gezielt mit verschiedenen Aspekten der nationalsozialistischen Besatzungsherrschaft auseinandersetzen. Das didaktische Paradigma der Oral History unter Verwendung von Zeitzeugeninterviews sowie forschendes und problemorientiertes Lehren und Lernen stehen im Vordergrund. Die Bildungsplattform ist bilingual und eignet sich sowohl für den deutschen als auch für den griechischen Schulunterricht. Das Material ist vollständig digital und kann sowohl im Präsenzunterricht als auch Online genutzt werden.“
In Griechenland gibt es jedoch auch ablehnende Stellungnahmen zu dem Projekt. Das „Εθνικό Συμβούλιο Διεκδίκησης των Οφειλών της Γερμανίας προς την Ελλάδα” (ESDOGE, Nationaler Rat zur Einforderung der Schulden Deutschlands gegenüber Griechenland) sieht in der Bildungsplattform eine Herabsetzung der griechischen Bildung und die Gefahr einer Geschichtsrevision und der „Unterwerfung“ der griechischen Schulen. Die Stellungnahme des ESDOGE vom 10.12.2020 [Griechischer Text unter: https://esdoge.gr/ochi-sti-dieisdysi-tis-germanikis-kratikis-propagandas-sta-ellinika-scholeia/] hier in deutscher Übersetzung:
NATIONALER RAT ZUR EINFORDERUNG DER SCHULDEN DEUTSCHLANDS GEGENÜBER GRIECHENLAND
Athen, 10.12.2020
Nein zur Revision und zur Unterwerfung an den Schulen
Das Programm MOG/Mnimes apo tin Katochi stin Ellada [Erinnerungen an die Okkupation in Griechenland], das vom Außenministerium der Bundesrepublik Deutschland finanziert wird, hat neulich auch in Griechenland seine Bildungsplattform vorgestellt. Die neue Initiative des deutschen Staates hat als ihr hauptsächliches Ziel die Pädagogen und die Schüler der griechischen Schulen.
Diese Auswahl stützt sich auf die inakzeptable und für unser Land abwertende Begründung, dass die Jugendlichen in die zeitgemäße Betrachtung der Geschichte eingeführt werden müssten, da die griechischen Schulen und die Bücher angeblich vom Mangel „kritischen Denkens“ und von überholten „ethnozentrischen“ Ansichten geprägt sind, die den Schülern nicht erlauben, auch die „andere Seite“ zu verstehen. Das was ihnen entsprechend dieser Ansicht gelehrt werden müsste, ist die Akzeptanz gleicher Abstände zwischen Angreifern und den sich Verteidigenden, Tätern und Opfern, und das Verständnis für die Nazi-Henker, die in Griechenland, Jugoslawien, Polen, Frankreich und anderswo gewirkt haben. Mit einer neokolonialistischen Denkweise, die mit der Herabsetzung der griechischen Bildung beginnt, unternehmen die Verantwortlichen der Plattform eine Reihe von Initiativen und, ohne die Erlaubnis des Erziehungsministeriums, das systematische Eindringen in die griechische Schule. Um den Boden vorzubereiten, ist sogar die gastfreundliche Beherbergung der Webseite des Programms zuvor erfolgt, mal roher, mal kunstvoller Propaganda, durch kurze „wissenschaftliche“ Bemerkungen, welche die geschichtlich nicht belegten und gefährlichen Ansichten für die Besatzung und den Widerstand in Griechenland übernehmen.
Die Absichten der Plattform MOG werden vollkommen aufgedeckt durch ihr besonderes Ziel, die Schüler und Schülerinnen Griechenlands in die Erschaffung von „Szenarien“ zu verwickeln, nämlich in die Fälschung der Geschichte mithilfe eines perversen Gebrauchs der Fiktion. Aber keine Fiktion kann in Abwesenheit des historisch Korrekten bestehen, also der Belege von der Besatzung bis heute. Junge Menschen, bei denen es ausgeschlossen ist, dass sie in irgendeinem europäischen Land und mit jedem beliebigen Bildungssystem sich ihre eigene Meinung für ein Meer von Themen gebildet haben, werden aufgerufen, „Szenarien“ für so umfangreiche und dramatische Fragen zu bilden. Wie? Offensichtlich geführt von dem Material, das ihnen die Planer und Betreiber der Plattform verschaffen werden. Und mit welchem erstrebten Ergebnis? Nicht, dass sie im Namen der angeblich korrekten und objektiven Geschichte auf glaubwürdigen historischen Beweisen basierende Ansichten bilden, sondern dass sie Szenarien konstruieren, die auf wenigen wertvollen Interviews von Zeugen basieren. Die dennoch nicht ausreichen, den breiteren historisch-gesellschaftlichen Rahmen und die umfassende Kenntnis der historischen Tatsachen zu ersetzen.
Das Ergebnis wird exakt sein, dass die Beziehung der Schüler zum kritischen Denken und dem historischen Gedächtnis zerbricht und dass sie in einem undurchschaubaren Gebiet gefangen werden, wo alles und nichts gilt, nämlich schließlich die Ansichten und Ziele der Initiatoren der Plattform.
Unter den Zielen derer nimmt die endgültige Vergeblichkeit des Kampfes um die deutschen Schulden die zentrale Stelle ein. Es deckt die Bestrebungen der Initiatoren und Geldgeber des Programmes auf, dass auf der Webseite des Programms die Erwähnung der Einforderung der deutschen Schulden problematisch ist und im Jahr 1960 endet, und so das Thema im Wesentlichen als beendet dargestellt wird. Es versucht so, die abgestimmten und unverzichtbaren Versuche der Griechen um Gerechtigkeit, die bis heute andauern, für ungültig zu erklären.
Doch ist Griechenland heute nicht das einzige Ziel. Breitere und vielfältige Versuche, „forschende“, „pädagogische“, „wissenschaftliche“, „kulturelle“, wurden auch in anderen europäischen Ländern verkündet in der Absicht, die Verbrechen der deutschen Besatzungskräfte zu relativieren. Mit dem Endziel, die Erinnerung und das Bewußtsein Europas an den 2. Weltkrieg zu verändern und entsprechend den Ansichten und den Interessen des deutschen Staates umzugestalten.
Die Instrumente der Propaganda und der Bekehrung für ein derartiges Unternehmen sind bekannt und erprobt: Präsentation in den Massenmedien, Austausch von Lehrern und Schülern griechischer und deutscher Schulen - was zu koordinieren die Deutsche Schule in Athen übernommen hat -, bezuschusste Forschungen, Stipendien und anderes. Diese Versuche dürfen und werden nicht durchkommen. Wir machen gegenüber allen klar: die Freundschaft und Zusammenarbeit beider Völker hat keinen Bezug zu den Handlungen mit der falschen Überschrift „Versöhnung“ ohne Gerechtigkeit, wie dem „Griechisch-Deutschen Jugendwerk“, das die Bundesrepublik Deutschland vorantreibt, um ihren Zielen zu dienen, und das die griechischen Regierungen ohne Widerstand akzeptieren. Die wirkliche Freundschaft des griechischen und deutschen Volkes, wie aller Völker Europas, kann sich nur auf das feste Fundament der Wahrheit, der Gleichheit und der Gerechtigkeit stützen. Dafür kämpfen wir, dafür bemühen wir uns gemeinsam mit Demokraten und Vereinigungen aus Deutschland.
Wir appellieren an die Regierung und insbesondere an das Bildungsministerium, an die Politiker, an die Verbände der Lehrer und der Professoren, ihre Verantwortung zu übernehmen. Darüber hinaus aber wenden wir uns an die griechischen Schüler und Pädagogen. Mit Verantwortung, mit Kenntnis und mit Offenheit muss die griechische Schule selbst, all die Jahre Vorkämpfer des Widerstandes in unserem Land, mit der Unterstützung von uns allen, die Antwort geben auf die gegen sie gerichteten Machenschaften.
In wenigen Tagen werden wir das Gedächtnis an die Opfer des Holocausts von Kalavryta ehren, eines der scheußlichsten Verbrechen Nazi-Deutschlands gegen die Menschheit im besetzten Europa. Als Zeichen der Anerkennung an die Opfer der Bestialität der Nazis und an das Opfer des griechischen Volkes für die Vernichtung des Faschismus rufen wir die Regierung auf, mit entschlossenen Handlungen die Einforderung der deutschen Schulden voranzutreiben, um so den klaren Auftrag des Plenums des griechischen Parlaments vom 17. August 2019 umzusetzen.
UNNACHGIEBIGER KAMPF FÜR ERINNERUNG & GERECHTIGKEIT!